Aus meinem pädagogischen Alltag eine wahre Geschichte, in der nur die Namen geändert wurden …
„Guten Tag, Frau Daul! Wie geht‘s?“, ertönt eine jugendlich frische Stimme aus der offen stehenden Eingangstür meiner Praxis. Erstaunt hebe ich den Blick und schaue in ein strahlendes Gesicht. Paula kommt herein. Zusammen mit ihrer Mutter sucht sie mich heute zum zweiten Mal in meiner Praxis für Praktische Pädagogik auf.
Ich brauche das Gespräch nicht zu eröffnen. Frau A. legt sofort los. Sie erzählt, wie überglücklich sie sei. Ihre Tochter sei schon immer ein fröhliches Mädchen gewesen. Doch sie konnte nie so richtig aus sich herausgehen, war extrem schüchtern und ängstlich. Ihr Mann und sie spürten, dass mehr in Paula steckte. Doch sie wussten nicht, wie sie ihr als Eltern helfen könnten. In der Schule lief es ja auch nicht besser. Mit Einführung der Noten in Klasse 2 begann für Paula sofort der Notendruck. – Und jetzt …
Persönlichkeit entfalten
Paula sitzt neben uns am Tisch, grinst verschmitzt und lässt die Beine baumeln. Ab und zu gibt sie sogar eigene Kommentare ab. – War da irgendetwas? Noch vor zwei Wochen versteckte sie sich hinter ihrer Mama. Mal schlüpfte sie mit dem Kopf in deren Strickjacke, mal verkroch sie sich unter deren Stuhl. Bloß nichts sehen! Am besten auch nicht gesehen werden!
Nach dem ersten Einzelcoaching wirkt Paula in ihrer Persönlichkeit deutlich gereift. Auch ich erlebe den Unterschied in ihrer Art zu kommunizieren und bin zutiefst beeindruckt. – Wie ist so etwas möglich?

Zurück zum Anfang:
Frau A. suchte ganzheitliche Unterstützung für ihre Tochter Paula. Denn Paula konnte sich in ihrer Klasse und auch sonst gegenüber Kindern nicht durchsetzen. Im Unterricht ließ sie sich leicht ablenken, so dass die ersten Noten, insbesondere in Mathe schlecht ausfielen. Zusätzliches Üben und Nachhilfe brachten wenig. Die Ergebnisse in Mathe waren weiterhin wirr, mal richtig, meistens jedoch falsch, die häufigen Misserfolge demotivierend.
Die Sicht als Praktische Pädagogin
Als Praktische Pädagogin stellte ich zunächst einmal fest, dass Paula ein intelligentes, vielseitig interessiertes Mädchen ist. Ihre Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstruktur ist – genetisch bedingt – die eines Mischform-Rechtshänders. Damit weiß ich aber auch, dass Paula bei Reizüberflutung schnell in Stress geraten kann. Sie versucht deshalb, mit Verhaltensweisen, wie oben beschrieben, eine solche Reizüberflutung zu kompensieren. Aus evolutionspädagogischer Sichtweise befindet sich Paula im Ungleichgewicht hinsichtlich ihrer Erlebnissicherheit: Neues bereitet ihr großes Unbehagen. Dies drückt sich in einer ganz speziellen Art des individuellen Körper-Ungleichgewichts aus, bei Paula deutlich erkennbar an dem eingezogenen Kopf und dem starren Blick.
Das Stammhirn
Ich holte Paula da ab, wo sie stand. In der ersten Sitzung aktivierte ich spielerisch das Hirnareal, in dem sich ihre Blockade manifestierte: das Stammhirn. Wir bewegten uns wie Schildkröten, machten mehrmals einen langen Hals und zogen ihn wieder ein, bis das wie von selbst ging. Wir optimierten so das Zusammenspiel von Gehirn, Augen und Muskulatur. Die Zweitklässlerin verstand intuitiv: Ich kann schüchtern sein und mich vor Gefahren gut schützen. Manchmal ist es aber passender für mich, wenn ich mich öffne. Denn nur dann kann ich viele interessante neue Dinge erfahren.
Paula wurde richtig neugierig. Und damit war die Bahn frei, Mathe selbstständig auszuprobieren und eigene Lösungsstrategien zu entwickeln. Hierfür nahmen wir uns in den folgenden Coachings ausreichend Zeit. Auch den Lehrern fielen positive Veränderungen in Paulas Verhalten auf, obwohl sie von den privaten Bemühungen der Familie A. nichts erfuhren.
Der Fall Paula ist kein Einzelfall, für meine nebenberufliche Arbeit als Praktische Pädagogin aber Motivation pur. Es ist einfach immer wieder schön zu erleben, wie Kindergartenkinder, Schüler und übrigens auch Erwachsene ihre persönlichen Potentiale (neu) entdecken und zur Entfaltung bringen.
Noch dazu geht das verblüffend leicht. – Warum? – Lernen muss man nicht lernen. Lernen geht von selbst, und es geht am besten, wenn wir im körperlichen Gleichgewicht sind. Leben ist Lernen. Und Lernen ist ein langsames „Sich-Aufrichten“.
Dr. Gudrun Daul
Praxis für Praktische Pädagogik
Bühl
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Astrid Sperling-Theis (Dienstag, 27 September 2016 18:13)
Hallo, Frau Daul,
Das war wirklich mal richtig schöner, positiver Beitrag, der sicher nicht nur Müttern, sondern auch Omis - wie mir - Mut macht. Kleinere Verhaltensauffälligkeiten sind nicht gleich ein Drama, So glücklich ist das Coaching sicher auch deswegen gelaufen, weil die Eltern fest daran glaubten, dass mehr ihrer Tochter steckt! Und das ist das Wesentliche: die Kinder nicht allein lassen in ihrer Not.
Weiter so!
Astrid Sperling-Theis Baden-Baden
Jutta Barbara Sommer (Dienstag, 27 September 2016 18:58)
Hallo Gudrun,
da sieht man mal wieder was möglich ist, wenn nicht nur etwas übergestülpt wird, sondern nach der Ursache gesucht und dann an der richtigen Stelle mit den passenden Mittel geübt wird. Einfach spannend dies immer wieder zu erleben. Viel Freude bei deiner "Arbeit" mit den dir anvetrauten Personen - Jutta
Christiane Bickel (Mittwoch, 28 September 2016 08:50)
Hallo Gudrun,
ein sehr schöner Artikel, das ist eine sehr schöne Arbeit die du da machst!!! Ganz genau: Jeden dort abholen wo er steht und mit seinen Möglichkeiten fortfahren,...so wie bei mir Tag täglich in der Praxis.
Liebe Grüße
Christiane
Beatrix Posselt (Mittwoch, 28 September 2016 14:18)
Hallo Gudrun,
es erstaunt mich immer wieder, welches Wunderwerk das menschliche Gehirn ist. Ich freue mich für dich, dass du solche überragende Erfolgsgeschichten berichten kannst. Kompliment für deine Arbeit!
Liebe Grüße
Bea